Wie wir zukunftsfähige, klimaneutrale Städte und Dörfer schaffen

Der folgende Artikel gibt einen Rückblick auf die Veranstaltung "Wege zum klimaneutralen Quartier", die am 30. September statt fand.

Die Veranstaltung wurde auch auf Video aufgezeichnet. Sie kann auf dem YouTube-Kanal der Landesenergieagentur angesehen werden:

Teil 1: Sanieren und Neubau im Quartier

Teil 2: Die Rolle von Wärmenetzen für die Transformation von Dörfern und städtischen Quartieren


Kommunen stehen angesichts der Klima- und Energiekrise vor enormen Herausforderungen: Massive Anstrengungen bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und einer erneuerbaren Energieversorgung sind notwendig, damit Städte und Dörfer bis 2045 – und laut Zielsetzung im Land Rheinland-Pfalz sogar möglichst früher – klimaneutral sind. Es sei an der Zeit, jetzt Gas zu geben, auch an den Stellen, wo es anfange, ein bisschen weh zu tun, so Keynote Speaker Dr. Burkhard Schulze Darup. Dann könne die rasante Entwicklung des Klimawandels hin zur Überschreitung der Kipppunkte im Klimasystem noch aufgehalten werden, ansonsten sei es zu spät. Im übertragenen Sinne „Gas zu geben“, um so schnell wie möglich weg von Erdgas und anderen fossilen Brennstoffen zu kommen, war Konsens bei den Referenten der Veranstaltung.

Fit für die Zukunft: Klimaneutrale Städte und Dörfer

Ziel der Veranstaltung war das Aufzeigen von Möglichkeiten, im Gebäudebestand wie auch im Neubau Klimaneutralität zu erreichen. Wie kann in einem Quartier, Stadttteil und Dorf die Energieversorgung erneuerbar werden? Und was muss erreicht werden, um die Energieeffizienz zu erhöhen – nicht nur bei einzelnen Gebäuden, sondern im ganzen Quartier? Stellschrauben gibt es in den Bereichen des Wohnens, der Versorgung, des sozialen Austauschs und der gesellschaftlichen Teilhabe.

Dazu sprachen Architekt und Stadtplaner Dr. Burkhard Schulze Darup und der stellvertretenden Geschäftsführer der Transferstelle Bingen, Michael Münch. Erweitert wurde der Expertenkreis im zweiten Teil durch Peter Nebenführ von der Energieversorgung Mittelrhein AG und Christian Synwoldt von der Energieagentur Rheinland-Pfalz.

Die wichtigsten Thesen der Experten

  1. Die Wärmeversorgung muss vollständig frei von fossiler Wärmeerzeugung und weitgehend brennstofffrei werden. Es ist nicht klimaeffizient, hohe Verbrennungstemperaturen zu erzeugen, um sie anschließend für die Raumwärme wieder „herunterzumischen“.
  2. Wärmepumpen werden die dominanten Wärmeerzeuger in einem Mix brennstoffarmer Wärmeerzeugungs- und -verteilsysteme sein. Ihre Antriebsenergie ist Strom, der am besten aus erneuerbaren Energien, der vor allem über Photovoltaik auf den Dächern der Gebäude bereitgestellt wird.
  3. Der Wärmebedarf muss gegenüber heute signifikant reduziert, die Heizlast halbiert werden, um den verbleibenden Bedarf sicher mit Wärmepumpen und erneuerbarem Strom abdecken zu können. Dabei geht Sanierungstiefe vor Sanierungsquote: Wo Gebäude einen großen Sanierungsstau aufweisen, sind Gebäudehülle und Haustechnik umfassend zu optimieren. In vielen anderen Fällen ohne Sanierungsstau sollte zunächst die Haustechnik auf Wärmepumpen umgestellt werden. Für den ersten Einsatz der Wärmepumpe sind häufig nur kleinere Maßnahmen nötig; bereits ab einer Jahresarbeitszahl von 2,5 sind diese bei heutigen Gaspreisen schon wirtschaftlich. In weiteren Sanierungsschritten wird dann die Gebäudehülle sukzessive optimiert und so die Effizienz der Wärmepumpe weiter gesteigert.
  4. Sowohl im Neubau als auch in der energetischen Gebäudesanierung müssen dabei recycelbare Baustoffe zum Einsatz kommen. Vor allem im Kreislauf geführte biogene Baustoffe wie Holz haben das Potenzial, klimapositiv zu wirken, also langfristig CO2 zu binden.
  5. Wärmenetze werden eine große Rolle spielen – für die Wärmeverteilung, aber auch für die Sektorkopplung, da sich fluktuierender Wind- und Sonnenstrom leicht in Wärme wandeln lässt. Ein kleiner Teil der Netze werden Hochtemperaturnetze mit Wärme aus Biomasse- und Müllverbrennung, besser noch mit erneuerbarer Wärme aus der Tiefengeothermie sein. Der neue Standard sind „kalte“ Nahwärmenetze, die günstiger zu errichten und resilienter gegen sinkende Wärmebedarfe sind.

Kommunen sind in vielerlei Sicht verantwortlich

Die Umsetzung klimaneutraler Quartiere liegt im hohen Maße in der Verantwortung der Kommunen, die planen, organisieren und kommunizieren, sich fachkundig beraten lassen, und die Akteure „mitnehmen“, ja mitreißen müssen. Damit einher geht die sich abzeichnende Pflicht zur „Kommunalen Wärmeplanung“, die zu dem strategischen Planungsinstrument für die Transformation der Wärmeversorgung werden wird. Mit den bekannten Integrierten Energetischen Quartierskonzepten, aber auch Bebauungsplänen und Energiekonzepten wird die kommunale Wärmeplanung dann auf der Quartiersebene konkretisiert.

Notwendige Weichen müssen auf Landes- und Bundesebene gestellt werden

Gleichwohl konstatierten die Referenten und Experten, dass viele Herausforderungen nicht von den Kommunen allein lösbar seien, sondern an die politischen Entscheider auf Landes- und Bundesebene zu adressieren sind, zum Beispiel:

  • der Arbeitskräftemangel, der sich nicht nur auf die Umsetzung im Handwerk auswirkt, sondern auch auf allen Ebenen der Planung und Verwaltung
  • der erforderliche schnelle Markthochlauf kostengünstiger Wärmepumpen
  • zu lockernde energierechtliche Regularien, die es heute noch vielfach verhindern, PV-Strom über Eigentumsgrenzen hinweg im Quartier zu teilen
  • leichter Zugang zu Fördermitteln auch für finanzschwache Kommunen, um in die klimaschützenden Zukunftstechnologien investieren zu können

Die „Wege zum klimaneutralen Quartier“ sind also kartiert und klar vorgezeichnet. Sie sind nicht ohne Hindernisse und Ablenkungen, die Wanderung ist anspruchsvoll. Das Ziel – zukunftsfähige Dörfer und Städte, in denen auch unsere Enkel gerne leben – ist die Mühen wert.